Inklusion und Teilhabe sind zentrale Pfeiler einer modernen und gerechten Gesellschaft. In Deutschland leben derzeit etwa 7,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung und sind auf entsprechende barrierefreie Angebote angewiesen. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird ein wichtiger Schritt unternommen, um die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen zu verbessern. Das Gesetz verfolgt das Ziel, Hindernisse abzubauen, die Menschen mit Behinderungen bislang von einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließen. Gleichzeitig trägt es zur Harmonisierung des Binnenmarktes bei, indem einheitliche Standards für Barrierefreiheit festgelegt werden.

In diesem Beitrag werfen wir einen genaueren Blick auf die Inhalte und Auswirkungen des Gesetzes und für wen jetzt Handlungsbedarf besteht mit Fokus auf die Auswirkungen für Betreiber von Websites und Apps (siehe dazu Punkt 3).

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Was regelt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Das neue Gesetz regelt, dass Produkte und Dienstleistungen, die Wirtschaftsakteure auf dem Unionsmarkt anbieten, barrierefrei sein müssen. Die Produkte und Dienstleistungen müssen für Menschen mit Behinderung ohne besondere Erschwernisse zugänglich und nutzbar sein. Wann dies konkret der Fall ist, bestimmt die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, die in Folge der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit erlassen wurde. Die Verordnung setzt dabei unter anderem Vorgaben aus der Europäischen Norm (EN) 301 549 um, die wiederum auf Vorgaben der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 enthält, welche einen internationalen Standard zur barrierefreien Gestaltung von Internetangeboten abbilden.

Die Verordnung enthält konkrete Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen für Produkte, Produktverpackungen, Anleitungen, an die Gestaltung von Benutzerschnittstellen und Funktionalität von Produkten sowie zusätzliche branchenspezifische Anforderungen an spezielle Produkte und Dienstleistungen. Dabei geht es beispielsweise um die Darstellung und Wahrnehmbarkeit von Informationen und Kennzeichnungen sowie die generelle barrierefreie Nutzbarkeit von Produkten und Dienstleistungen.

Neben diesen konkreten Bedingungen hinsichtlich der Barrierefreiheit statuiert das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz noch eine Reihe von Kennzeichnungs-, Dokumentations-, Informations- und Aufbewahrungspflichten für die Wirtschaftsakteure. Dabei sieht es unterschiedliche Pflichten für die unterschiedlichen Wirtschaftsakteure vor und differenziert dabei zwischen Herstellern, Einführern und Händlern von Produkten sowie Dienstleistungserbringern.

Für wen gelten die neuen Regelungen?

Der Anwendungsbereich des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes bezieht sich nur auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen. Es gilt für die folgenden Produkte, sofern diese nach dem 28.06.2025 in den Verkehr gebracht werden:

  • Hardwaresysteme einschließlich Betriebssysteme;
  • Selbstbedienungsterminals: Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten, Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen;
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste oder für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden (z.B. Mobiltelefone);
  • E-Book-Lesegeräte.

Außerdem gilt es für die folgenden Dienstleistungen, die nach dem 28.06.2025 erbracht werden:

  • Telekommunikationsdienste;
  • Elemente von Personenbeförderungsdiensten: Webseiten, Apps, elektronische Tickets und Ticketdienste, Bereitstellung von Verkehrsinformationen, interaktive Selbstbedienungsterminals;
  • Bankdienstleistungen für Verbraucher;
  • E-Books und hierfür bestimmte Software;
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (z.B. Websites mit einem Online-Shop, aber auch, wenn es über die unternehmenseigene Website die Möglichkeit gibt, sonstige Dienstleistungen, wie z.B. (Friseur-)Termine zu buchen).

Ausdrücklich davon ausgenommen sind folgende Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen:

  • Aufgezeichnete zeitbasierte Medien, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden (z.B. Audio- und Videoinhalte);
  • Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden;
  • Online-Karten und Kartendienste, sofern bei Karten für Navigationszwecke wesentliche Informationen barrierefrei zugänglich in digitaler Form bereitgestellt werden;
  • Inhalte von Dritten, die von dem betreffenden Wirtschaftsakteur weder finanziert noch entwickelt werden noch dessen Kontrolle unterliegen;
  • Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, da ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden.

Speziell: Webseiten mit Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr

Webseitenbetreibende sollten prüfen, ob sie unter einen der oben genannten Anwendungsbereiche fallen. Häufig werden auf Webseiten „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ angeboten. Das ist schon dann der Fall, wenn die Website z.B. die Möglichkeit eröffnet, einen Termin für eine Dienstleistung zu buchen, auch wenn die Dienstleistung selbst nicht über die Website erbracht wird (z.B. Termin für einen Friseursalon). Aber auch der klassische Online-Shop fällt unter diese Kategorie. Die Betreiber solcher Websites müssen, neben den Vorgaben, die die vertriebenen Produkte und die Dienstleistungen erfüllen müssen, unter anderem noch folgende webseitenspezifische Bedingungen erfüllen: Gemäß der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz müssen Webseiten einschließlich der zugehörigen Online-Anwendungen und auf Mobilgeräten angebotenen Dienstleistungen, einschließlich mobiler Apps, auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Wann diese Kriterien erfüllt sind, bestimmt sich nach dem jeweiligen Stand der Technik. Diesbezüglich soll die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit zukünftig regelmäßig Auflistungen der wichtigsten zu beachtenden Standards sowie Konformitätstabellen veröffentlichen. Daneben kann diesbezüglich auf die Standards EN 301 549 zurückgegriffen werden, die Richtlinien für die barrierefreie Gestaltung von Websites (Kapitel 9) darlegen und dabei in vielen Punkten auf die WCAG 2.1 verweisen. Dort finden sich (nicht abschließend) z.B. Vorgaben zu:

  • Verfügbarkeit von Untertiteln,
  • Möglichkeit der Audiodeskription,
  • Aussagekraft von Überschriften,
  • logische Gliederung von Überschriften,
  • Vorgaben zum Kontrastverhältnis,
  • Vergrößerungsmöglichkeiten,
  • Vorgaben zur Auflösung,
  • Vorgaben zur Verwendung von Schriftgrafiken,
  • Beschränkungen hinsichtlich der Verwendung von Animationen.

Zu erwähnen ist, dass sich diese Vorgaben nur auf die Webseite selbst beziehen. Hinsichtlich der angebotenen Produkte und Dienstleistungen sieht die Verordnung noch weitere differenzierte Vorgaben vor.

Bieten Sie auf Ihrer Website Dienstleistungen oder Produkte an, so sollten sie überprüfen lassen, ob Ihre Website sowie Ihre angebotenen Dienstleistungen und Produkte diesen umfassenden Bedingungen bereits entsprechen und ggf. notwendige Anpassungen vornehmen.

Welche Ausnahmen gibt es?

Nicht alle Unternehmen, die die genannten Dienstleistungen erbringen, unterfallen dem Anwendungsbereich des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes. Ausdrücklich ausgenommen sind Kleinstunternehmen. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft.

Wichtig ist, dass diese Ausnahme nur für Kleinstunternehmen gilt, die die benannten Dienstleistungen anbieten und mithin nicht Kleinstunternehmen freistellt, die dem Gesetz unterfallende Produkte vertreiben.

Außerdem sieht das Gesetz eine Reihe von speziellen Ausnahmen vor (z.B., wenn die Vorgaben zu einer grundlegenden Veränderung des Produkts oder der Dienstleistung führen würden oder bei dem Vorliegen einer unverhältnismäßigen Belastung), die jedoch jeweils einer konkreten Einzelprüfung bedürfen.

Übergangsvorschriften

Das Gesetz sieht einige Übergangsvorschriften vor. So können Dienstleistungserbringende bis zum 27. Juni 2030 ihre Dienstleistungen weiterhin unter Einsatz von Produkten erbringen, die von ihnen bereits vor dem 28. Juni 2025 zur Erbringung dieser oder ähnlicher Dienstleistungen rechtmäßig eingesetzt wurden. Vor dem 28. Juni 2025 geschlossene Verträge über Dienstleistungen dürfen bis zu dem Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen sind, allerdings nicht länger als bis zum 27. Juni 2030 unverändert fortbestehen.

Außerdem gilt für Selbstbedienungsterminals, die von den Dienstleistungserbringenden vor dem 28. Juni 2025 zur Erbringung von Dienstleistungen unter Einhaltung der geltenden gesetzlichen Regelungen eingesetzt werden, dass diese bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer, aber nicht länger als fünfzehn Jahre nach ihrer Ingebrauchnahme, weiter zur Erbringung vergleichbarer Dienstleistungen eingesetzt werden dürfen.

Was droht bei Verstößen?

Zum einen sieht das Gesetz Maßnahmen vor, die der jeweilige Wirtschaftsakteur vornehmen muss, wenn er Kenntnis davon erlangt, dass Produkte oder Dienstleistungen die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllen. Außerdem wachen die Marktüberwachungsbehörden der Länder über die Einhaltung des Gesetzes. Dabei handelt es sich um Landesbehörden, die unter anderem dafür zuständig sind, darüber zu wachen, dass alle Wirtschaftsakteure, die unter die Bestimmungen des BFSG fallen, die Barrierefreiheitsanforderungen einhalten. Stellen die Behörden fest, dass diese Anforderungen durch ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht erfüllt sind, hat die Behörde die Möglichkeit, geeignete Maßnahmen zur Herstellung der Konformität sowie Bußgelder von bis zu 100.000 € zu erlassen.

Fazit

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz stellt Unternehmen vor die Aufgabe, ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten. Betroffene Unternehmen müssen klare Vorgaben einhalten, welche Investitionen in Anpassungen der Produkte und Dienstleistungen erfordern können. Gleichzeitig bietet das Gesetz Chancen: Unternehmen, die Barrierefreiheit umsetzen, erschließen neue Kundengruppen, stärken ihre Wettbewerbsfähigkeit und tragen zur Harmonisierung des Binnenmarkts bei.

Gerne unterstützen wir Sie bei der Umsetzung der neuen Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes.

Dr. Miriam Martiny, LL.M. ist als Rechtsanwältin auf dem Gebiet des Datenschutzrechts sowie des Urheber- und Medienrechts tätig. Sie berät als Senior Consultant Mandanten bei der Umsetzung der DSGVO.